Ein Team unter der Leitung von Forschern der UCLA und der University of Pennsylvania hat den ersten Katalog seiner Art zur Gen-Isoform-Variation im sich entwickelnden menschlichen Gehirn erstellt. Dieser neuartige Datensatz liefert wichtige Einblicke in die molekularen Grundlagen neurologischer und psychiatrischer Hirnstörungen und ebnet den Weg für gezielte Therapien.
Die in Science veröffentlichte Forschungsarbeit beschreibt außerdem, wie die Transkriptexpression je nach Zelltyp und Reifegrad variiert. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass veränderte Expressionsniveaus von Gen-Isoformen uns helfen können, die Entwicklung des menschlichen Gehirns besser zu verstehen.
Jede Zelle unseres Körpers enthält die gleiche genetische Information, die in der DNA kodiert ist, aber es ist die Expression unterschiedlicher Proteine, die in mRNA-Transkripten kodiert sind und den Zellen ihre unterschiedlichen Funktionen verleihen. Diese unterschiedlichen Proteine oder Isoformen entstehen meist durch alternatives Spleißen – ein Prozess, der im Gehirn weit verbreitet ist und zu seiner großen Bandbreite an Proteinen und Eigenschaften beiträgt.
„Aufgrund unserer früheren Forschungen wussten wir, dass die Isoformregulierung ein wichtiges molekulares Merkmal zum Verständnis der Gehirnentwicklung und des genetischen Risikos für neuropsychiatrische Störungen ist“, sagte Dr. Luis de la Torre-Ubieta vom Eli and Edythe Broad Center of Regenerative Medicine and Stem Cell Research an der UCLA, der die Studie gemeinsam mit Dr. Michael Gandal, einem außerordentlichen Professor für Psychiatrie und Genetik an der Perelman School of Medicine der University of Pennsylvania, leitete.
Trotz ihrer Häufigkeit wurde die Rolle des zelltypspezifischen Spleißens und der Transkript-Isoform-Diversität im sich entwickelnden menschlichen Gehirn bisher nicht systematisch untersucht, da Sequenzierungstechnologien früherer Generationen Einschränkungen aufwiesen. Hier konnten die Forscher neue Sequenzierungstechnologien der dritten Generation mit langen Leselängen nutzen, um vollständige RNA-Moleküle zu erfassen und das vollständige Transkriptom zweier wichtiger Regionen des sich entwickelnden Neokortex zu profilieren: der Keimzone, die Stammzellen enthält, und der Kortikalplatte, die neu gebildete Neuronen beherbergt.
Mithilfe dieser Technologie konnten die Forscher 214.516 einzigartige Isoformen entdecken – über 70 % davon wurden noch nie zuvor untersucht. Anschließend verglichen sie die beiden Regionen des sich entwickelnden Gehirns und stellten fest, dass Änderungen der Isoform-Expressionsniveaus für die Neurogenese, Differenzierung und das Zellschicksal wichtig sind – im Wesentlichen für die Reifung des Gehirns.
Die Forscher entdeckten Tausende von Isoformwechseln, die während der Gehirnentwicklung auftreten, was darauf schließen lässt, dass bisher nicht charakterisierte RNA-bindende Proteine an der Zellidentität und an Entscheidungen über das Zellschicksal beteiligt sind. Ihre Erkenntnisse geben auch Aufschluss über genetische Risikomechanismen für neurologische Entwicklungsstörungen und neuropsychiatrische Störungen, einschließlich einer Neubewertung der Bedeutung und klinischen Relevanz von Tausenden seltener genetischer Varianten.
„Wir haben festgestellt, dass es sich bei den Risikogenen für Autismus oder neurologische Entwicklungsstörungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eher um Gene handelt, die mehr Isoformen aufweisen, und diese Isoformen werden während der Neurogenese unterschiedlich exprimiert“, sagte de la Torre-Ubieta, Assistenzprofessor für Psychiatrie und Verhaltenswissenschaften. „Das bedeutet, dass eine Fehlregulierung der Expression bestimmter Isoformen ein potenzieller Mechanismus ist, der diesen Störungen zugrunde liegt.“
Wissenschaftler, die das Gehirn erforschen, verlassen sich häufig auf öffentlich zugängliche Kataloge von Genen und Gentranskripten. Menschliches Gehirngewebe, insbesondere embryonales Gewebe, ist jedoch schwer zugänglich, was die Vollständigkeit dieser Datensätze einschränkt. Für diese Studie entnahmen die Forscher sechs sich entwickelnde Gewebeproben des menschlichen Neokortex, die die mittlere Schwangerschaftsperiode oder 15 bis 17 Wochen nach der Empfängnis repräsentieren. Dieser Entwicklungszeitpunkt im menschlichen Gehirn ist ein kritisches Fenster, in dem die Komplexität unseres Gehirns – des komplexesten Organs unseres Körpers – zutage tritt.
„Diese Gewebeproben haben uns in bemerkenswertem Maße neue Transkriptentdeckungen ermöglicht“, sagte Gandal. „Und da diese Datenbanken diese kritischen Zeitpunkte weder berücksichtigt noch dargestellt haben, können wir unser Verständnis davon, wie Gene im Zusammenhang mit der Entwicklung des menschlichen Gehirns reguliert werden, dramatisch erweitern.“
Die Ergebnisse der Studie haben starke therapeutische Auswirkungen und könnten klinisch umsetzbar sein, sagten die Forscher. Die Entdeckung neuer Transkripte könnte den Weg für die Identifizierung neuer Behandlungsansätze in Gentherapiestudien oder gezielten Therapiestudien für Personen ebnen, die seltene Mutationen aufweisen, die mit psychiatrischen oder neurologischen Entwicklungsstörungen in Zusammenhang stehen.
Kurzfristig haben die Daten auch direkte Auswirkungen auf die Verbesserung unserer Fähigkeit, genetische Diagnosen von neurologischen Entwicklungsstörungen zu stellen. Da die Studie mehrere tausend genetische Varianten entdeckte, die bedeutender sind als bisher angenommen, können Familien oder Einzelpersonen, die diese Varianten in sich tragen, besser verstehen, wie ihre Kinder für bestimmte Störungen anfällig sein könnten.
Gandal hat den Datensatz mit mehreren Kollegen am Kinderkrankenhaus von Philadelphia geteilt, wo viele Kinder mit seltenen neurologischen Entwicklungsstörungen oder nicht diagnostizierten Entwicklungsstörungen leben. Die Ärzte dort nutzen diese Ressource bereits, um neurogenetische Daten diagnostisch besser interpretieren zu können.
„Ich freue mich wirklich, diese Ressource nutzen zu können, um Patienten zu helfen“, sagte Gandal, der auch als Psychiater praktiziert. „Mit diesem Wissen sind wir der Entwicklung gezielter Behandlungen und einem viel spezifischeren Verständnis genetischer Mechanismen einen Schritt näher gekommen.“
Weitere UCLA-Autoren sind Ashok Patowary, Pan Zhang, Celine K. Vuong, Xinzhou Ge, Kangcheng Hou, Minsoo Kim, Michael Margolis, Bogdan Pasaniuc und Jingyi Jessica Li. Connor Jops, Naihua Gong, Daniel Vo, Xusheng Wang und Chunyu Liu haben zu dieser Studie beigetragen.
Die Forschung wurde von der Simons Foundation Autism Research Initiative, dem National Institute of Mental Health, der National Science Foundation und dem UCLA Medical Scientist Training Program unterstützt.
Quelle: UCLA
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