Den am 4. Juni bekannt gegebenen Ergebnissen der Parlamentswahlen in Indien zufolge hat sich Premierminister Narendra Modi eine dritte Amtszeit gesichert. Modis Bharatiya Janata Party (BJP) muss sich für eine Mehrheit auf ihre Koalition mit der National Democratic Alliance (NDA) verlassen; die BJP selbst erreichte nur 240 Sitze, weniger als ihr erstaunlicher Höchstwert von 303 bei den Wahlen 2019. Aber die insgesamt 286 Sitze der NDA reichen aus, um Modi eine Mehrheit zu sichern – und einen dritten Sieg in Folge.
Reden nach der WahlModi versprach, seine Agenda fortzusetzen und verwies auf das „große Vertrauen“ der indischen Wähler in seine Regierung. Im Gegenzug versprach er ein „neues Kapitel großer Entscheidungen“ für Indien.
Zu Modis obersten Prioritäten gehört, dass die BJP Indien bis 2027 zur drittgrößten Volkswirtschaft der Welt machen, Wirtschaftsreformen durchführen und Arbeitsplätze schaffen will. Modi möchte Indiens Status als globale Führungsmacht unter anderem auch festigen.
Modis außenpolitische Ziele in seiner dritten Amtszeit werden darin bestehen, Indiens seit langem angestrebte ständige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu verwirklichen, strategische Allianzen zu bilden, sich der Herausforderung Chinas zu stellen, die Beziehungen zu seinen Nachbarn neu zu beleben und eine zentrale Rolle in der Weltpolitik zu spielen.
Mit einer aktuellen Wachstumsrate des BIP von 8,5 Prozent ist Indien die am schnellsten wachsende große Volkswirtschaft der Welt. Der Versuch, den dritten Platz unter den Wirtschaftsmächten der Welt zu erobern, dürfte also nicht allzu schwierig sein. Unter Modi ist Indien bereits von Platz 10, als er 2014 sein Amt antrat, auf Platz 5 vorgerückt. Sowohl globale als auch lokale Indikatoren bekräftigen Indiens Ziel, bis 2027 die drittgrößte Volkswirtschaft zu werden.
Modi hat darauf hingewiesen, dass die Welt „blickt nach Bharat [India] mit vielen Hoffnungen.“ Um diesen Erwartungen gerecht zu werden, muss Indien „mehrere Änderungen vornehmen, um auf dem globalen Szenario voranzukommen“ und „unser traditionelles Denken in Bezug auf Reformen ändern“.
Modis dritte Amtszeit wird eine umfassende Reform mit sich bringen, um „die Bestrebungen der [creating a] Viksit Bharat (entwickeltes Indien) bis 2047.“ Auf der Tagesordnung stehen Marktreformen, die Förderung von Freihandelsabkommen, die Betonung der digitalen Infrastruktur und der Energiewende sowie die Stärkung der wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit des Landes, um globale Finanzschocks zu absorbieren.
Außenpolitisch wird die BJP ihre Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat betonen, doch dazu gehört auch eine Reform der Vereinten Nationen. Die Reform des UN-Sicherheitsrats wird eine tektonische Herausforderung darstellen, denn China – ein P5-Mitglied – ist offensichtlich noch nicht bereit für den Beitritt Indiens.
Indien wird jedoch nicht „eine Ewigkeit auf die Reform des UN-Sicherheitsrates warten”, so Indiens führender außenpolitischer Kommentator Professor C. Raja Mohan. Daher nutzt Indien alternative Institutionen, insbesondere „minilaterale“, um sich auf bestimmte Themen mit gleichgesinnten Ländern mit gemeinsamen Zielen und Interessen zu konzentrieren.
So hegen Indien, die USA, Japan und Australien gemeinsame Sicherheitsbedenken gegenüber China im Indo-Pazifik und gründeten deshalb den Quadrilateral Security Dialogue (Quad). Die Wirksamkeit des Quads mag zwar in Frage gestellt werden, doch die proaktive Haltung der Mitgliedsländer hat zu einem besser koordinierten regionalen Ansatz geführt.
Es gibt auch trilaterale Konsultationen über die regionale Sicherheit zwischen den Quad-Partnern. Andernorts arbeitet Frankreich mit Indien und den Vereinigten Arabischen Emiraten zusammen, um seine Rolle im Indischen Ozean zu stärken. Das Colombo Security Conclave, dem Indien, Sri Lanka, die Malediven und Mauritius angehören, ist eine weitere effektive sicherheitsorientierte Gruppierung im Indischen Ozean.
Was China betrifft, muss Indien seine Sicherheitsinfrastruktur an seiner Grenze im Himalaya, wo die Spannungen mit China anhalten, noch einmal überdenken. Chinas Ansprüche auf die von Indien kontrollierten Gebiete im Ostsektor haben sogar zu Zusammenstößen zwischen den beiden Militärs geführt.
Im Jahr 2020 verlor Indien 20 Soldaten bei einem Nahkampf mit der chinesischen Volksbefreiungsarmee, was Delhi dazu veranlasste, seine Grenzinfrastruktur und seinen Sicherheitsapparat zu stärken. Erst vor wenigen Tagen entsandte China Berichten zufolge seine moderne Stealth-Kampfjets vom Typ J-20 in Shigatse, nur 150 Kilometer vom indischen Bundesstaat Sikkim entfernt.
Chinas Manöver werden Indien nicht überraschen. Tatsächlich ist die einzige Erwähnung Chinas im gesamten Wahlmanifest der BJP ein Versprechen: „Beschleunigen Sie die Entwicklung einer robusten Infrastruktur entlang der Grenze beider Länder.
Deshalb wird sich Modi 3.0 auf die Verbesserung der Grenzinfrastruktur, die Stärkung der Verteidigungsfähigkeiten und die Stärkung „minilateraler“ strategischer Allianzen mit gleichgesinnten Ländern konzentrieren, um den Frieden im Indo-Pazifik-Raum, einschließlich der Taiwanstraße, zu sichern.
Ob China zu seiner Position vom April 2020 zurückkehrt und den Status quo ante mit Indien wiederherstellt, wie es die Modi-Regierung gefordert hat, bleibt abzuwarten. Dennoch werden alle Augen auf das mögliche Treffen zwischen dem neu wiedergewählten indischen Premierminister und Chinas Führer Xi Jinping am Rande des Gipfels der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit in Kasachstan nächsten Monat gerichtet sein.
Abgesehen von China haben Indiens Beziehungen zu den USA während Modis zwei Amtszeiten zugenommen. Im Jahr 2016, zwei Jahre nach Modis Amtsantritt, Indien als wichtigen Verteidigungspartner anerkannt.
Im Juni 2023 reiste Modi in die USA und betonte die zwischenmenschlichen Beziehungen, die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Technologie und vor allem die strategische Zusammenarbeit. Im Januar 2023 unterzeichneten Indien und die USA die Initiative für kritische und aufkommende Technologien, „Technologiepartnerschaft für die Zukunft planen.”
Den Beziehungen zwischen Indien und den USA sind keine Grenzen gesetzt – im wahrsten Sinne des Wortes, denn die beiden Länder streben einen intensiveren Austausch und eine intensivere Zusammenarbeit im Weltraumsektor an. Insgesamt wird Modis Comeback für Kontinuität in den Beziehungen sorgen, unabhängig davon, wer die US-Präsidentschaftswahlen im November gewinnt.
Dennoch wird Indien auch weiterhin seine Verteidigungs- und Handelsbeziehungen mit Russland aufrechterhalten. Auch wenn Delhi die Prioritäten gegenüber Moskau richtig gesetzt hat, ist Russlands „grenzenlose Freundschaft“ mit China ein Grund zur Sorge, da sie Indiens Sicherheitskalkül und regionales Gleichgewicht erschwert.
Im Umgang mit den unmittelbaren Nachbarn – Nepal, Bhutan, Bangladesch, Sri Lanka, den Malediven und Afghanistan – war „Neighborhood First“ eine zentrale außenpolitische Initiative der Modi-Regierung.
Trotz des Vertrauensdefizits und des wachsenden chinesischen Einflusses scheint es Indien mit seiner 4-Milliarden-Dollar-Hilfe während der Wirtschaftskrise des Inselstaates im Jahr 2022 gelungen zu sein, Sri Lanka aus der Einflusssphäre Pekings zu lösen.
Dennoch legen chinesische „Forschungsschiffe“ weiterhin in Sri Lanka an und gefährden damit Indiens maritime Sicherheit im Indischen Ozean. Daher legt Neu-Delhi neben der bilateralen Zusammenarbeit mit Colombo auch Wert auf die trilaterale Zusammenarbeit mit Japan als einem der wichtigsten Entwicklungspartner Sri Lankas.
Was Pakistan betrifft, so hat Indien klargestellt, dass es den staatlich geförderten grenzüberschreitenden Terrorismus in Kaschmir, den Islamabad betreibt, nicht tolerieren wird. Pakistan wird seine Beziehungen zu Indien nicht normalisieren, da sein Militär das Sagen hat. Obwohl einige Kreise in Pakistan bereit sind, mit Indien zusammenzuarbeiten, stellt sich die Frage, ob das Militär dies auch will. Die Antwort lautet bisher nein. Stattdessen scheint die pakistanische Armee, um Indien zu besiegen, bereit zu sein, Frieden und Ruhe in Pakistan selbst zu stören. Angesichts des Mangels an wirtschaftlichem Denken in Islamabad und der anhaltenden Dominanz der Armee besteht wenig Hoffnung auf Veränderung.
Mit der Ausrichtung des G-20-Gipfels im September 2023 in Delhi hat Indien in seinem Streben nach globaler Führungsrolle den Ton angegeben. Nun strebt das Land eine glaubwürdige Führungsrolle in den Entwicklungsländern an, was sich in den deutlichen Fortschritten bei seinem verstärkten Engagement in Afrika, Lateinamerika und Südostasien widerspiegelt.
In seinem neuesten Leitartikel schreibt Modi vermittelt dass Indien „als starke und wichtige Stimme des globalen Südens anerkannt“ werde. Insbesondere würdigte er, dass die Afrikanische Union dank Indiens Initiativen „Teil der G-20-Gruppe geworden ist. Dies wird ein entscheidender Wendepunkt für die Zukunft der afrikanischen Länder sein.“
Indem Indien zur „Stimme des globalen Südens“ wird, versucht es, seine Nische zu finden, in der es mehr Zuspruch findet. Diese strategische Positionierung stärkt nicht nur Indiens diplomatischen Einfluss, sondern fördert auch stärkere wirtschaftliche und politische Beziehungen zu Schwellenländern.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Modis dritte Amtszeit die Dynamik aufrechterhalten und umfassende außenpolitische Reformen vorantreiben, strategische Allianzen stärken und Indiens Führungsrolle im globalen Süden festigen wird. Durch die Stärkung der regionalen Sicherheit, das Streben nach einer Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat und die Förderung globaler Partnerschaften will Indien zu einem zentralen Akteur auf der Weltbühne werden.