Stellen Sie sich eine Zukunft vor, in der Ihr Arzt ein Gel in Ihr Gewebe injizieren kann und das Gel eine weiche, stromleitende Elektrode bildet. Diese kann dann zur Behandlung Ihrer Nervensystemerkrankung verwendet werden. Nach einer Weile löst sich die Elektrode auf und verschwindet. Schwedische Forscher haben das Gel bereits entwickelt und wollen im Laufe der Zeit Elektronik mit biologischem Gewebe – wie dem Gehirn – verbinden können.
Die elektronische Medizin ist ein Forschungsgebiet, das sich nicht so recht in ein bestehendes Fachgebiet einordnen lässt.
„Im Moment sprechen Sie mit einem Physiker, einem Chemiker und mir, der einen Hintergrund in der Biomedizin hat. Wir arbeiten mit Materialwissenschaftlern und Elektroingenieuren zusammen, um das Wissen aus unseren verschiedenen Bereichen zu integrieren. Damit das funktioniert, muss man das Gehirn verstehen und man muss Chemie und Physik verstehen“, sagt Hanne Biesmans, Doktorandin am Laboratory of Organic Electronics, LOE, an der Universität Linköping.
Die von ihr angesprochene Forschung befasst sich mit sogenannter organischer Elektronik, die sich mit lebendem Gewebe verbinden lässt. Das langfristige Ziel ist, damit verschiedene Erkrankungen des Nervensystems und des Gehirns behandeln zu können. Ihr Kollege Tobias Abrahamsson ist Chemiker.
„Die Interdisziplinarität unserer Forschung, bei der wir unterschiedliche Aspekte und Wissensgebiete miteinander verbinden, finde ich sehr spannend. Man könnte auch sagen, dass ich eine eher persönliche Motivation habe, denn in meiner Familie gibt es Erkrankungen, die das Nervensystem betreffen“, sagt er.
Übersetzt zwischen Biologie und Elektronik
Doch was ist organische Elektronik? Und wie könnte sie zur Behandlung von Krankheiten eingesetzt werden, die heute nur schwer therapierbar sind – etwa Epilepsie, Depression oder Alzheimer und Parkinson?
„Im Körper findet die Kommunikation über viele kleine Moleküle statt, wie Neurotransmitter und Ionen. Neuronale Signale sind zum Beispiel auch eine Welle von Ionen, die einen elektrischen Impuls erzeugt. Wir wollen also etwas, das all diese Informationen aufnehmen und als Übersetzer zwischen Ionen und Elektronen fungieren kann“, sagt Xenofon Strakosas, Assistenzprofessor mit einem Hintergrund in Physik.
Im Jahr 2023 gelang es ihnen zusammen mit anderen Forschern der Universitäten Linköping, Lund und Göteborg, Gelelektroden in lebendem Gewebe zu züchten.
„Anstatt Metalle und andere anorganische Materialien zur Stromleitung zu verwenden, kann man Elektronik mit anderen Materialien auf der Basis von Kohlenstoff- und Wasserstoffatomen herstellen – also organischen Materialien –, die leitfähig sind. Diese sind mit biologischem Gewebe besser verträglich und daher besser für die Integration in beispielsweise den Körper geeignet“, sagt Tobias Abrahamsson.
Die organischen elektronischen Materialien sind sehr nützlich für die Leitung biologischer Signale, da sie sowohl Ionen als auch Elektronen leiten können. Außerdem sind sie im Gegensatz zu Metallen weich. Die elektrische Hirnstimulation wird bereits zur Behandlung einiger Krankheiten eingesetzt. Elektroden werden in das Gehirn implantiert, um beispielsweise die Parkinson-Krankheit zu behandeln.
„Aber die heute klinisch verwendeten Implantate sind ziemlich rudimentär; sie basieren auf harten oder starren Materialien wie Metallen. Und unser Körper ist weich. Es gibt also Reibung, die zu Entzündungen und zur Bildung von Narbengewebe führen kann. Unsere Materialien sind weicher und körperverträglicher“, sagt Hanne Biesmans.
Elektroden in Pflanzen
Ihre Kollegen bei LOE zeigten bereits vor etwa zehn Jahren, dass sie Pflanzen dazu bringen konnten, eine wasserlösliche Substanz aufzusaugen, die im Inneren des Stängels der Pflanze eine Struktur bildete, die Elektrizität leitet. Mit anderen Worten, eine Art Elektrode im Inneren einer Pflanze.
Bei der Substanz handelt es sich um ein sogenanntes Polymer – also eine Substanz, die aus vielen kleinen, ähnlichen Einheiten besteht, die durch einen Prozess namens Polymerisation lange Ketten bilden können. Damals wurden Rosen verwendet und die Forscher konnten zeigen, dass sie organische Elektroden hergestellt hatten. Damit öffnete sich die Tür zu einem neuen Forschungsgebiet.
„Aber es fehlte noch ein Teil. Wir wussten nicht, wie wir die Polymere zum Beispiel in Säugetieren und im Gehirn bilden konnten. Doch dann wurde uns klar, dass wir Enzyme in das Gel einbauen und körpereigene Substanzen verwenden konnten, um die Polymerisation zu starten“, sagt Xenofon Strakosas.
Die Idee führte dazu, dass die Forscher die leicht viskose, gelartige Lösung nun in das Gewebe injizieren können. Beim Kontakt mit körpereigenen Substanzen wie Glukose verändern sich die Eigenschaften des Gels. Und den schwedischen Forschern gelang es weltweit erstmals, mit der Methode die Bildung von Elektroden im Gewebe zu aktivieren.
„Das Gel polymerisiert im Gewebe selbst und wird elektrisch leitfähig. Das überlassen wir der Biologie“, sagt Xenofon Strakosas.
Außerdem bleibt es an der Stelle, an der es injiziert wurde. Das ist wichtig, weil die Forscher kontrollieren wollen, wo im Gewebe sich das Gel befindet. Das Forschungsteam hat gezeigt, dass sie auf diese Weise Elektroden im Gehirn von Zebrafischen und rund um das Nervensystem von Blutegeln züchten können. Nun untersuchen sie, ob dies auch bei Mäusen funktioniert.
Doch bis die Behandlung von Krankheiten mit dem Gel Realität wird, ist es noch ein weiter Weg. Zunächst will das Forscherteam untersuchen, wie stabil das Gel im Gewebe ist. Zersetzt es sich nach einiger Zeit und was passiert dann? Eine weitere wichtige Frage ist, wie sich das leitfähige Gel mit Elektronik außerhalb des Körpers verbinden lässt.
„Das ist nicht ganz einfach, aber ich hoffe, dass man mit der Methode im Laufe der Zeit beobachten kann, was im Körper bis auf die Zellebene passiert. Dann können wir vielleicht besser verstehen, was verschiedene Erkrankungen des Nervensystems auslöst oder zu ihnen führt“, sagt Tobias Abrahamsson.
„Es gibt noch viel zu lösen, aber wir machen Fortschritte“, sagt Xenofon Strakosas. „Es wäre fantastisch, wenn wir die Elektroden irgendwann dazu nutzen könnten, Signale im Körper zu lesen und sie für die Forschung oder im Gesundheitswesen einzusetzen.“
Geschrieben von Karin Söderlund Leifler
Quelle: Universität Linköping
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