Aus den anhaltenden Problemen Bangladeschs können Indien, Südasien und die Welt insgesamt lernen: Der langsame Tod der Demokratie ist für niemanden eine gute Nachricht.
Seit Wochen herrscht in Bangladesch Nervosität, da Studentenproteste auf den Straßen gegen den eingeschränkten Zugang zu Regierungsjobs, politische Günstlingswirtschaft und autoritäre Übergriffe protestieren. Am Wochenende spitzte sich die Lage zu, als ein großer Mob von Demonstranten in Richtung der Residenz von Premierministerin Sheikh Hasina in der Hauptstadt Dhaka zog. Hasina wurde zum Rücktritt gezwungen und floh mit einem Hubschrauber, wodurch das Land in die Hände des Militärs und einer Übergangsregierung fiel.
Hasinas Kritiker argumentieren schon lange, der Sturz ihrer Regierung sei überfällig gewesen. Sie warfen ihr vor, die demokratischen Institutionen Bangladeschs zu korrumpieren, Andersdenkende mit Füßen zu treten und einen Einparteienstaat aufzubauen. Dieser Staat ist nun so gut wie zusammengebrochen, und niemand weiß, was als Nächstes passieren wird. Doch in Südasien ist dies eine schmerzlich vertraute Geschichte: Ein populistischer Führer kommt auf der Grundlage hehrer Ideale an die Macht, rüstet den Staat als Waffe auf, sieht sich mit weitverbreiteter Opposition konfrontiert und hinterlässt dann Chaos. Von Pakistan über Sri Lanka und die Malediven bis hin zu Bangladesch haben eine Reihe von fragilen Republiken Südasiens diesen Zyklus durchlaufen, jede auf ihre eigene Weise.
In Neu-Delhi werden die Politiker, wie auch in diesen anderen Fällen, erneut besorgt sein. Hasina ist eine wichtige strategische Verbündete des indischen Premierministers Narendra Modi. Ihre Regierung ist ein Partner beim Aufbau der Infrastrukturanbindung, der Lösung von Grenzstreitigkeiten und der Bekämpfung terroristischer Gruppen.
Während eines Großteils der 2000er Jahre war das Verhältnis zwischen Indien und Bangladesch gespannt. Auslöser waren vor allem Sorgen über die illegale Einwanderung und die Funktionsweise fundamentalistischer Gruppen im Land, die regelmäßig Terroranschläge verübten oder im unruhigen Nordosten Indiens für Unruhen sorgten.
Nachdem Hasina 2008 an die Macht kam, schien sich dieses Paradigma zu ändern. Hasina schmiedete eine symbiotische Beziehung zu Neu-Delhi und ging hart gegen Gruppen wie die berüchtigte Harkat-ul-Jihad-al Islami Bangladesh vor. 2015 unterzeichnete sie zudem ein wegweisendes Grenzabkommen mit Modi, um das Einwanderungsproblem in den Griff zu bekommen. Im Gegenzug startete Indien diverse Infrastrukturprojekte, die durch Bangladesch verlaufen. Diese waren Teil eines großen Plans, das indische Festland mit seinem Nordosten und weiter nach Südostasien zu verbinden.
Die Herausforderung für Neu-Delhi bestand jedoch darin, dass Hasina im eigenen Land immer unbeliebter wurde. Im Laufe ihrer Herrschaft füllte die bangladeschische Regierungschefin die staatlichen Institutionen immer mehr mit Loyalisten, ließ politische Dissidenten inhaftieren und war für eine Reihe außergerichtlicher Hinrichtungen verantwortlich. Viele dieser Maßnahmen gingen mit Ausbrüchen religiösen Fundamentalismus einher, die bangladeschische Rationalisten das Leben kosteten und indische Beobachter in Angst und Schrecken versetzten. Hasina rechtfertigte ihre autoritäre Politik mit dem Argument, dass die wichtigste politische Oppositionspartei, die Bangladesh Nationalist Party (BNP), Verbindungen zu radikalen islamistischen Gruppen habe, die die säkulare Verfassungsordnung des Landes bedrohen. Dieses Argument ließen viele in Neu-Delhi gelten.
Während Bangladeschs Demokratie im Laufe der Jahre immer weiter zurückfiel, entschied sich Indien bewusst, wegzuschauen. Bei den Wahlen 2014, 2018 und 2024 kehrte Hasina mit überwältigenden Mandaten an die Macht zurück, während die BNP und ihre Führer praktisch von den Wahlen ausgeschlossen wurden. Viele im Westen, darunter die Vereinigten Staaten, stellten die Legitimität dieser Wahlen öffentlich in Frage. Im Vorfeld der diesjährigen Wahlen führten die USA sogar ein spezielles Sanktionsprogramm gegen Personen ein, die für die Untergrabung demokratischer Prozesse in Bangladesch verantwortlich sind. Dennoch stellte Indien weiterhin sein Gewicht hinter Hasina.
In Neu-Delhi war man jahrelang der Meinung, Hasina sei die beste Wahl. Indien fürchtete sich so sehr vor einer Rückkehr der politischen Opposition und des religiösen Radikalismus, dass es Hasinas verlängerte Herrschaft für strategisch vernünftig hielt, selbst wenn dies eine Verwässerung demokratischer Normen bedeutete. Doch wie in vielen anderen Ländern der Region und darüber hinaus war dies immer ein riskantes Glücksspiel: Angesichts des zunehmenden Autoritarismus und des Verschwindens demokratischer Kanäle für abweichende Meinungen war Hasina zunehmend dem Risiko gewalttätiger Proteste und einer Gegenreaktion der Bevölkerung ausgesetzt. Letzte Woche ist dieser Fall schließlich eingetreten.
Nach Hasinas Abgang steht Neu-Delhi nun vor etwas, das weitaus Schrecklicheres ist als der Verlust Hasinas auf demokratischem Wege: einem unsicheren Machtvakuum und anhaltender politischer Instabilität. Der Zusammenbruch demokratischer Institutionen in den letzten anderthalb Jahrzehnten wird es Bangladesch nun deutlich schwerer machen, eine funktionierende Regierung zu haben, die breite Legitimität genießt.
Doch die Geschichte Bangladeschs ist weder völlig beispiellos noch ungewöhnlich. Sie beweist vielmehr, warum Indien und die USA in Südasien robuste demokratische Institutionen fördern müssen, wenn sie mit Chinas finanzkräftigen Einflussoperationen in der Region konkurrieren wollen. Autoritäre Herrschaftsformen haben sich in weiten Teilen der Region jahrzehntelang als instabil erwiesen, was autokratische Verbündete im besten Fall riskant und im schlimmsten Fall chaotisch macht.
Vor allem Indien hat viel zu verlieren. Als größte und einflussreichste Demokratie der Region haben Indiens Aktionen oft sowohl Putschisten als auch Demokratieaktivisten in ganz Südasien auf großes Interesse gestoßen. Angesichts seiner langen Geschichte der Unterstützung von Hasina steht Indien heute in Bangladesch vor einer Glaubwürdigkeitskrise, die es Neu-Delhi erschweren wird, mit einer Regierung nach Hasina zusammenzuarbeiten. Jede Regierung, die eng mit Indien verbündet ist, könnte nun Gefahr laufen, unbeliebt zu werden und sich den Zorn von Straßenprotesten zuzuziehen.
Nicht zum ersten Mal ist man in Neu-Delhi am Realismus gescheitert.