Am 18. Juli wurde Ursula von der Leyen als Präsidentin der Europäischen Kommission wiedergewählt, nachdem Roberta Metsola bereits als Präsidentin des Europäischen Parlaments wiedergewählt worden war. Während diese beiden Spitzenpolitiker ihre Ämter zum zweiten Mal verteidigten, wird der ehemalige portugiesische Premierminister António Costa Charles Michel als Präsident des Europäischen Rates ersetzen.
Die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas, eine entschiedene Kritikerin Russlands und eine lautstarke Unterstützerin der Ukraine, wird als Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik die Nachfolge von Josep Borrell antreten. Dies bedeutet sowohl Kontinuität als auch Wandel in der Führung der Europäischen Union.
Während sich die EU-Führung auf eine neue Amtszeit vorbereitet, die von Übergängen im Rat und im Außenministerium geprägt ist, werden sich in ihrem Engagement in der Welt und insbesondere im Indo-Pazifik-Raum voraussichtlich genau diese Tendenzen – Kontinuität und Wandel – zeigen.
Das unerschütterliche und langjährige Engagement der EU für die liberale internationale Ordnung und ihr Bekenntnis zu Multilateralismus, Demokratie und Menschenrechten haben sie zu einer wichtigen normativen Kraft im Indo-Pazifik-Raum gemacht. Dies zeigt sich in der Indo-Pazifik-Strategie der EU, der Global Gateway-Initiative, der Unterstützung von Initiativen zum Klimawandel und einer Reihe von Entwicklungsinitiativen in der Region, darunter in Kambodscha, Laos, Timor-Leste und Vietnam. Auch in anderen wichtigen Regionen des Globalen Südens, insbesondere in Afrika, hat die EU in der Zusammenarbeit mit Partnern zur Förderung von Entwicklung, Fortschritt und Frieden bedeutende Fortschritte erzielt.
Diese Kontinuität im Ansatz der EU ist zwar lobenswert, doch bedarf es auch rascher Kurskorrekturen in einigen ihrer Politikbereiche.
An erster Stelle steht das China-Dilemma der EU. Die EU hat China bekanntlich als „Kooperationspartner, wirtschaftlichen Konkurrenten und systemischen Rivalen“ bezeichnet. Seit dieser Begriff jedoch verwendet wurde, haben sich in der Weltpolitik wesentliche Veränderungen ergeben. Von der COVID-19-Pandemie und der russischen Invasion in der Ukraine bis hin zu Chinas zunehmend selbstbewusster Haltung im Südchinesischen Meer und der Taiwanstraße sowie seinem wirtschaftlichen Druck auf europäische Länder hat sich China eher als systemischer Rivale und erbitterter Konkurrent der EU denn als Kollaborateur präsentiert. Chinas diplomatische und wirtschaftliche Unterstützung für Russland bei der Verweigerung der EU-Sanktionen zeigt seine Haltung in dieser Frage und stellt die China-Strategie der EU in Frage. Diese Entwicklungen beweisen zweifelsfrei, dass China in einer Vielzahl von Fragen, die den Kern der Normen und Werte der EU bilden, auf der Gegenseite steht und von einer vom Westen vertretenen regelbasierten liberalen internationalen Ordnung profitiert hat, ohne viel dafür zu bieten.
Der anhaltende Krieg in der Ukraine und die drohenden Krisen im Südchinesischen Meer und in Taiwan haben die widersprüchlichen Normen und Werte zwischen der EU und China nur noch verschärft. Damit steht die EU an einem Scheideweg, an dem sie ihre diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit China mit ihren Gründungsprinzipien und ihrer internationalen Rolle in Einklang bringen muss.
Die jüngsten Entwicklungen in den Beziehungen zwischen China und Europa waren nicht ermutigend. Der Staatsbesuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Frankreich, Serbien und Ungarn – seine erste Europareise seit fünf Jahren – zeigte die Unfähigkeit der EU (insbesondere Frankreichs), Druck auf China auszuüben, was die Handelsungleichgewichte mit der EU betrifft (mit einem 291 Milliarden Dollar Defizit zugunsten Chinas im Jahr 2023) oder Russland dazu zu bewegen, den Krieg in der Ukraine zu beenden.
Unterdessen zeigte Bundeskanzler Olaf Scholz mit seiner Chinareise im Mai 2024 seine Bereitschaft, Pekings Menschenrechtsbilanz und starke militärische Haltung zugunsten wirtschaftlicher Vorteile zu ignorieren, was ihm Kritik aus der internationalen Gemeinschaft einbrachte. Es wurde erwartet, dass Scholz mit China Menschenrechtsthemen ansprechen würde, da der Menschenrechtsansatz der chinesischen Regierung seit dem Amtsantritt von Xi Jinping im Jahr 2013 dramatisch repressiver geworden ist.
Die Beziehungen zwischen Berlin und Peking sind kompliziert. Deutschland sieht in China ein Sicherheitsrisiko und einen geopolitischen Konkurrenten, vor dem es Risiken vermeiden sollte. Anstatt die deutsch-chinesischen Beziehungen im Einklang mit der EU-Politik zu fördern, indem es sich für die Achtung der Menschenrechte und international anerkannter Regeln und Normen einsetzt, hat sich Scholz für einen Ansatz entschieden, der weder Deutschlands langfristigen Interessen nützt noch dazu beiträgt, die grundlegenden Menschenrechte der chinesischen Bürger zu schützen.
Die ambivalente Haltung sowohl Frankreichs als auch Deutschlands gegenüber China zeigt lediglich ihre Kurzsichtigkeit im Umgang mit China – ein Fehler, den die EU erkennen und beheben muss.
China ist sich auch der internen Spaltungen innerhalb der EU im Hinblick auf Russland bewusst. Chinas Fokus auf Länder wie Serbien, Ungarn und andere ist Teil eines Versuchs, die Beziehungen zu prorussischen Ländern zu stärken, die auch Empfänger großer chinesischer Investitionen sind. Xi strebt danach, Chinas anhaltenden Einfluss in Mittel- und Osteuropa zu demonstrieren, trotz der wachsenden Zahl von Ländern, die die von Peking angeführte Kooperationsinitiative zwischen China und Mittel- und Osteuropa verlassen. Peking versucht, seine Infrastrukturambitionen in Europa wiederzubeleben, wobei die Eisenbahnlinie Belgrad-Budapest ein wichtiger Teil der chinesischen Bemühungen um Europa werden soll.
Ein aktuelles vielsagendes Beispiel: China versuchte, unangemessenen Druck auszuüben auf Abgeordnete aus Bosnien und Herzegowina, Nordmazedonien und der Slowakei (sowie aus Ländern Südamerikas und Asiens), um sie von der Teilnahme am Gipfeltreffen der Interparlamentarischen Allianz für China (IPAC) abzuhalten, das im Juli in Taiwan stattfand. Die EU-Führung muss Mittel und Wege finden, um sicherzustellen, dass unterschiedliche Ansichten über China und internationale Angelegenheiten innerhalb Europas nicht zu ihrem Nachteil ausgenutzt werden.
Im wirtschaftlichen Bereich herrschen zwischen China und Europa große Spannungen: Die EU prüft derzeit chinesische Investitionen auf dem Kontinent und die Europäische Kommission hat eine Reihe von Handelsuntersuchungen eingeleitet, die letztlich zu Sanktionen gegen Chinas Exporte sauberer Technologien führen könnten.
Am 4. Juli hat die Europäische Kommission vorläufige Ausgleichszölle eingeführt über den Import von batteriebetriebenen Elektrofahrzeugen (BEVs) aus China und kommt zu dem Schluss, dass „die BEV-Wertschöpfungskette in China von unfairer Subventionierung profitiert, was eine Gefahr wirtschaftlicher Schäden für EU-BEV-Hersteller darstellt“. Die EU hat außerdem ihre Inspektionen vieler chinesischer Unternehmen intensiviert, die Sicherheitsvorschriften gegen den chinesischen Bekleidungshändler Shein verschärft und formelle Ermittlungen gegen TikTok nach dem Digital Services Act eingeleitet. Die EU untersucht außerdem mutmaßliche Marktzugangsbarrieren auf dem chinesischen Markt für Medizinprodukte.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen untersucht China nun auch, ob die EU „unfaire“ nichttarifäre Handelshemmnisse einsetzt, um chinesische Exporte in die Region zu kontrollieren. China warnt, dass die Maßnahmen der EU in Bezug auf Zölle auf Elektrofahrzeuge zu einem „Handelskrieg“ zwischen China und der EU führen könnten.
Trotz Handelskonflikten ist Russlands Invasion in der Ukraine im Februar 2022 wohl einer der Hauptgründe für die angespannten Beziehungen der EU zu China. China hat sich wiederholt als neutrale Partei im anhaltenden Konflikt erklärt. Trotz der Proteste der EU zeigen Chinas regelmäßige diplomatische Kontakte mit Russland auf hohem Niveau Pekings Interessen und seine Verbundenheit zu Russland. Während Chinas Unterstützung für Russland taktischer Natur ist und von wirtschaftlichen und militärischen Eigeninteressen getrieben wird, dürfen die langfristigen Auswirkungen des Krieges und Chinas Versuchung, die Ukraine-Episode in seiner Nachbarschaft zu wiederholen, nicht übersehen werden.
Die aktuelle China-Politik der EU hat kurzfristig eindeutige Vorteile gebracht, doch eine intensivere Handels- und Investitionspolitik mit China könnte die EU in eine Situation führen, die man als „Russland 2.0“ bezeichnen könnte. Die Ressourcen der EU werden erschöpft, um die Ukraine im Kampf gegen Russland zu unterstützen, was zu einer stärkeren Abhängigkeit von China führt – eine prekäre Situation. Die beste Herangehensweise ist daher, nicht nur gegenüber Russland, sondern auch gegenüber China Risiken zu minimieren.
Der EU muss man fairerweise sagen, dass sie sich dieser Probleme bewusst ist. In ihrem am 30. März Rede zur Chinapolitik In Brüssel bezeichnete von der Leyen die Beziehungen zwischen China und der EU als „unausgewogen“ und „zunehmend von Verzerrungen betroffen, die durch Chinas staatskapitalistisches System verursacht werden“. Sie forderte auch, die Beziehungen „auf der Grundlage von Transparenz, Vorhersehbarkeit und Gegenseitigkeit neu auszubalancieren“. Der im Juni 2024 angekündigte Ansatz der EU zum Vorschlag zur wirtschaftlichen Sicherheit zielt auch darauf ab, die Herausforderungen zu überprüfen, denen die EU aufgrund unfairer chinesischer Praktiken gegenübersteht. Es bleibt abzuwarten, wie die EU mit den internen und externen Herausforderungen umgeht, die China auferlegt.
Die EU ist auch besorgt über die sich rasch entwickelnden geopolitischen Entwicklungen in der Taiwanstraße. So bezog von der Leyen in ihrem Wahlmanifest klar Stellung zu Chinas aggressivem und provokativem Vorgehen gegenüber Taiwan und forderte „gemeinsame Anstrengungen, um die gesamte Bandbreite vereinter Staatskunst einzusetzen, um China davon abzuhalten, den Status quo einseitig mit militärischen Mitteln zu ändern, insbesondere in Bezug auf Taiwan.“
Tatsächlich befindet sich Taiwan im Umgang mit einem kriegerischen China in einer schwierigen Lage und braucht die uneingeschränkte Unterstützung der EU, der USA und anderer wichtiger Akteure in der Region. Um eine Situation wie in der Ukraine in der Taiwanstraße zu verhindern, muss rechtzeitig eine glaubwürdige, langfristige diplomatische und militärische Abschreckung aller Beteiligten aufgebaut werden, um Taiwan zu unterstützen. Die neue Führung der EU könnte in dieser Hinsicht viel beitragen.
Die EU muss ihre Rolle als Verfechterin globaler Normen bewahren und eine regelbasierte liberale internationale Ordnung bewahren und schützen, die auf den Prinzipien von Demokratie, Gerechtigkeit, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit beruht. Die herrschenden Umstände erfordern einen kohärenteren, einfühlsameren, systematischeren, langfristigeren und regelbasierten Ansatz der EU gegenüber China, der die drohende Herausforderung Chinas wirksam bewältigen kann, bevor es zu spät ist.