Anfang letzten Monats traf sich der japanische Premierminister Kishida Fumio in Berlin mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz. Beide Staatschefs hatten am NATO-Gipfel in Washington, D.C. teilgenommen, sodass sie sich auch dort hätten treffen können. Die Tatsache, dass er für dieses Treffen um die halbe Welt nach Deutschland reiste, zeigt jedoch, wie sehr die Kishida-Regierung die bilateralen Beziehungen schätzt. Mit dem Inkrafttreten des japanisch-deutschen Beschaffungs- und Dienstleistungsabkommens und der Schaffung eines Konsultationsrahmens für wirtschaftliche Sicherheit scheint sich die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern stetig zu vertiefen.
Ein Beispiel hierfür ist die Teilnahme der deutschen Luftwaffe an einem Training mit den japanischen Luftselbstverteidigungsstreitkräften in Hokkaido, das ebenfalls im Juli stattfand. Unterdessen wird die deutsche Marine diese Woche in der Bucht von Tokio anlegen, ihr italienisches Gegenstück wird ihr einige Tage später folgen.
In einem breiteren Kontext betrachtet, lässt sich jedoch kaum behaupten, dass die beiden Staatschefs ihre Rollen angesichts der großen Verantwortung, die ihren jeweiligen Ländern auferlegt wurde, wirklich angemessen erfüllen. Der NATO-Gipfel in Washington gedachte des 75. Jahrestages der Gründung des Bündnisses und war das dritte Treffen seit Beginn der Teilnahme der Staats- und Regierungschefs der IP4 (Indo-Pazifik 4: Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland). Das Hauptanliegen der Teilnehmer war jedoch die Vorbereitung auf die „Post-Biden“-Ära. Da die Vereinigten Staaten, lange Zeit die dominierende Macht des Westens, zunehmend instabil wirken, stehen Japan und Deutschland vor einer größeren Verantwortung denn je, die freie Welt zu unterstützen. Doch sowohl Kishida als auch Scholz kämpfen mit niedrigen Zustimmungswerten im Inland, und beiden wird mangelnde Führungsstärke vorgeworfen. Tatsächlich kündigte Kishida seinen Rücktritt an, nachdem die regierende Liberaldemokratische Partei Ende September ihren neuen Vorsitzenden gewählt hat. Gleichzeitig werden die Chancen, dass Scholz seine Partei in die nächste Bundestagswahl 2025 führt, immer geringer.
Dennoch hat Japan zumindest seine nationalen Prioritäten neu definiert. Als sich die Regierung Ende 2022 auf die drei nationalen Sicherheitsdokumente einigte, wurde bereits ein Expertengremium gebildet, das Diskussionen führte, um zu klären, welche Fähigkeiten Japan stärken muss, und um detaillierte Pläne für die nächsten fünf und zehn Jahre auszuarbeiten. In Ostasien sind die Raketenkapazitäten Chinas, das nie an den INF-Vertrag gebunden war, nach Jahren des stetigen Aufbaus zu einer ernsthaften Bedrohung geworden. Mit dem Krieg in der Ukraine entwickelte sich auch die Debatte in Japan über seine nationale Sicherheitspolitik, die dazu führte, dass die Bedeutung sogenannter „Gegenschlagfähigkeiten“ als Abschreckungselement einbezogen wurde. Neben der Erweiterung der Reichweite im Inland produzierter Raketen wurde beschlossen, etwa 400 Tomahawks aus den Vereinigten Staaten zu kaufen, wobei die ersten 200 bis Ende 2025 geliefert werden sollen. Kishida hat bisher keinen Hinweis darauf gegeben, woher die Mittel für diese Anschaffungen kommen werden. Doch immerhin hat sich in Japan ein Konsens darüber herausgebildet, was getan werden muss. Im Gegensatz zu Deutschland, wo sich die Verteidigungsministerin regelmäßig darüber beschwert, dass die Regierung aufgrund der knappen Kassen nicht kaufen könne, was sie brauche.
Obwohl in Deutschland 2023 die Nationale Sicherheitsstrategie angekündigt wurde, scheint das Land noch weit von einem nationalen Konsens darüber entfernt zu sein, welche Fähigkeiten es stärken muss. Am Rande des NATO-Gipfels wurde die Stationierung amerikanischer Langstreckenraketen in Deutschland angekündigt. Die USA und Deutschland einigten sich darauf, ab 2026 Tomahawks, SM-6 und Überschallraketen – letztere befinden sich in der Entwicklung – in Deutschland zu stationieren. Diese Fähigkeiten entsprechen den „Gegenschlagfähigkeiten“, die Japan in seiner Nationalen Sicherheitsstrategie 2022 einzuführen beschlossen hat, und können daher als wichtiger Schritt zum Wiederaufbau der westlichen Abschreckung angesehen werden. Es fanden jedoch weder von den Staats- noch von den Kabinettsmitgliedern der Vereinigten Staaten noch von Deutschland Pressekonferenzen statt; die Fakten kamen einfach plötzlich aus dem Weißen Haus.
Als Reaktion auf diese Ankündigung des Weißen Hauses brachten viele deutsche Medien Schlagzeilen wie „Erlebt der Kalte Krieg ein Comeback?“. Bei den Deutschen wecken Mittelstreckenraketen sofort Erinnerungen an den NATO-Doppelbeschluss von 1979, auf den die Stationierung der Mittelstreckenrakete „Pershing II“ und des bodengestützten Marschflugkörpers Griffon in Deutschland folgte, was zu groß angelegten Anti-Atomkraft-Protesten führte. Zum Glück für alle übernahm Michail Gorbatschow später die Macht, und Washington und Moskau unterzeichneten 1987 den Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme, der zur Beseitigung aller bodengestützten Raketenabschussanlagen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 km führte. Der Vertrag entschärfte die damals große Krise der NATO.
Die in den 1980er Jahren stationierten Mittelstreckenraketen waren mit Atomsprengköpfen ausgestattet, während die Raketen, die dieses Mal stationiert werden, konventionelle Sprengköpfe haben. In diesem Sinne ist der Vergleich zwar nicht haltbar, dennoch war die Reaktion in Deutschland emotional, und viele Politiker äußerten die Befürchtung, dies könnte der Beginn eines Wettrüstens sein. Als Reaktion auf diese Bedenken trat Verteidigungsminister Boris Pistorius im Fernsehen auf und erklärte, die NATO habe derzeit eindeutig „Lücken“ in ihren Fähigkeiten und könne nicht einmal eine Annäherung einleiten, wenn sie diese nicht schließe und die Abschreckung wiederherstelle.
Etwa zur gleichen Zeit verkündeten Deutschland, Frankreich, Italien und Polen, sie hätten sich auf die Entwicklung von Langstreckenraketen geeinigt. So nimmt die Struktur der Abschreckung in Europa und Ostasien allmählich Gestalt an. Sie räumt den Atomwaffen eine geringere Rolle ein als während des Kalten Krieges, während die Präzisionsschlagkraft konventioneller Sprengköpfe mit großer Reichweite eine größere Rolle spielt. Der Begriff „integrierte Abschreckung“ wird zunehmend verwendet, um diesen neuen Ansatz zu beschreiben. Doch in welchem Ausmaß die nukleare Abschreckung eine Rolle spielen sollte und welche Art von nuklearer Komponente erforderlich ist, um diese Rolle zu erfüllen, ist noch nicht klar. In Europa wird das System der nuklearen Teilhabe mit Flugzeugen mit dualer Einsatzfähigkeit als Bindeglied zur strategischen Abschreckung des US-Militärs verstanden. Braucht Asien etwas Ähnliches oder sollte die Region andere Mittel einsetzen, um die Glaubwürdigkeit der erweiterten Abschreckung sicherzustellen? Auch diese Debatte hat gerade erst begonnen. Die Welt braucht Japan und Deutschland, die in der Sicherheitspolitik führend sind und bereit sind, Führung zu übernehmen.
IWAMA Yoko ist Professorin am National Graduate Institute for Policy Studies (GRIPS).