Eine Offenlegung der Royal Commission in Neuseeland hat eine erschütternde Vergangenheit der Misshandlung in den psychiatrischen und psychosozialen Einrichtungen des Landes ans Licht gebracht, von der 200.000 Kinder und schutzbedürftige Personen betroffen waren.
„Für manche Menschen bedeutete es Jahre oder sogar Jahrzehnte wiederholten Missbrauchs und Vernachlässigung. Für manche war es ein Leben lang; für andere ein anonymes Grab“, heißt es in dem Bericht.
Diese gründliche Untersuchung, die sechs Jahre dauerte und 101 Millionen Dollar kostete, deckte den Missbrauch und die Vernachlässigung auf, die unter dem Vorwand der psychiatrischen Versorgung stattfanden. Die Enthüllungen fanden weltweite Resonanz und lösten Forderungen von Patientenrechtsgruppen nach Verbesserungen der psychiatrischen Versorgung weltweit, insbesondere in Europa, aus.
Realität des sexuellen Missbrauchs, Elektroschocks, chemische Fesseln
Die Veröffentlichung der Royal Commission mit dem Titel „Whanaketia – Durch Schmerz und Trauma von der Dunkelheit zum Licht“ beleuchtet die Realität sexuellen Missbrauchs, Elektroschocks, chemischer Zwangsmaßnahmen, medizinischer Versuche und anderer Formen der Misshandlung. Überlebende, die auf Anerkennung warteten, wurden schließlich von Premierminister Christopher Luxon versichert: „Ihre Stimmen werden gehört und Ihre Erfahrungen anerkannt.“ Die Anerkennung dieser Gräueltaten als Folter durch die Regierung ist für die Betroffenen ein Schritt in Richtung Gerechtigkeit und Genesung.
„Realität des sexuellen Missbrauchs, der Elektroschocks, der Zwangsmaßnahmen mit Chemikalien, der medizinischen Versuche und anderer Formen der Misshandlung“
Die Citizens Commission on Human Rights (CCHR) in Neuseeland spielt seit 1977 eine wichtige Rolle bei der Interessenvertretung der Überlebenden und der Dokumentation von Missbräuchen, darunter auch Fälle wie die Therapie, die Kindern im inzwischen geschlossenen Lake Alice Psychiatric Hospital verabreicht wurde.
„Viele Überlebende starben, während sie unter Vormundschaft standen, oder begingen nach Erhalt der Vormundschaft Selbstmord. Bei anderen bleiben die Auswirkungen des Missbrauchs bestehen und verschlimmern sich, was ihre täglichen Aktivitäten und Entscheidungen erschwert“, heißt es in dem Bericht weiter. Der Premierminister des Landes, Christopher Luxon, bezeichnete es als „dunklen und traurigen Tag in der Geschichte Neuseelands als Gesellschaft“ und erklärte: „Wir hätten es besser machen sollen, und ich bin entschlossen, dass wir das tun werden“, berichtet die BBC.
Überlebende erhalten möglicherweise eine Entschädigung in Höhe von 1,2 Milliarden NZ-Dollar (2 Milliarden NZ-Dollar), was das Ausmaß des Unrechts verdeutlicht.
Laut Jan Eastgate, Präsident von CCHR International, sind die globalen Auswirkungen des Berichts erheblich, da ähnliche Missbräuche in den Vereinigten Staaten und anderen Ländern dokumentiert wurden. Wir könnten auch Deutschland, Frankreich, Spanien, die Schweiz und andere erwähnen. Die Schlussfolgerungen der Untersuchung spiegeln die einer Untersuchung des US-Senats über Fehlverhalten in Verhaltensinstitutionen wider und unterstreichen die dringende Notwendigkeit internationaler Reformen.
Die Enthüllungen aus Neuseeland erinnern daran, wie groß das Potenzial für Misshandlungen in psychiatrischen Gesundheitssystemen ist.
Einige Empfehlungen des neuseeländischen Berichts
Empfehlung 33: Das Justizministerium, das Te Kura Kaiwhakawā Institute of Judicial Studies, die neuseeländische Polizei, das Crown Law Office, die New Zealand Law Society und andere relevante juristische Berufsverbände sollten sicherstellen, dass Ermittler, Staatsanwälte, Anwälte und Richter von entsprechenden Fachexperten in folgenden Bereichen geschult und ausgebildet werden:
a. die Ergebnisse der Untersuchung, einschließlich der Art und des Ausmaßes von Missbrauch und Vernachlässigung in Pflegeeinrichtungen, des Weges von der Pflegeeinrichtung in die Haftanstalt und der besonderen Auswirkungen auf Überlebende von Missbrauch und Vernachlässigung in Pflegeeinrichtungen
b. traumainformierte Ermittlungs- und Strafverfolgungsprozesse
c. alle Formen der Diskriminierung
d. Umgang mit neurodiversen Menschen …
e. Menschenrechtskonzepte, einschließlich der Verpflichtungen im Rahmen des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, des Übereinkommens über die Rechte des Kindes, des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung und der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker. (Seite 123)
Empfehlung 34: Die neuseeländische Polizei sollte das Polizeihandbuch und andere relevante Materialien überprüfen, um sicherzustellen, dass Anweisungen und Richtlinien die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen und andere relevante völkerrechtliche Verpflichtungen von Aotearoa Neuseeland widerspiegeln und darauf Bezug nehmen (einschließlich der Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, der Konvention über die Rechte des Kindes, der Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, der Konvention zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung und der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker) (Seite 124). Empfehlung 35: Die neuseeländische Polizei sollte eine Spezialeinheit einrichten, die sich der Untersuchung und strafrechtlichen Verfolgung der Verantwortlichen für früheren oder aktuellen Missbrauch und Vernachlässigung in der Pflege widmet (Seite 125).
Todesfälle und anonyme Gräber
Die Untersuchung hat nicht nur Beweise dafür erhalten, dass Menschen in Pflegeheimen gestorben sind, sondern auch dafür, dass Menschen in Pflegeheimen in unmarkierten Gräbern beerdigt wurden. (Punkt 93, Seite 45) Im Jahr 2014 identifizierte ein lokaler Historiker 172 unmarkierte Gräber auf dem Waitati Cemetery in Otago. Etwa 85 % dieser Gräber stammen aus ehemaligen Einrichtungen wie Cherry Farm (psychiatrische Klinik) und Seacliff. Der Historiker stellte fest, dass die letzte Beerdigung im Jahr 1983 stattgefunden hat. (Punkt 98, Seite 45) Die Untersuchung fand Beweise für unmarkierte Gräber von Patienten, die in einigen psychiatrischen Kliniken in ganz Aotearoa Neuseeland gestorben sind, insbesondere in den Krankenhäusern Porirua, Tokanui und Sunnyside. (Punkt 77c, Seite 54)
Also, was machen wir in Europa?
Obwohl Europa ein „Kontinent der Grundrechte“ ist, dürfen wir nicht vergessen, dass viele der Missbräuche (die normalerweise und fälschlicherweise als Behandlungen bezeichnet werden), von denen wir heute in der Untersuchung lesen, in Europa selbst ihren Ursprung haben. In Deutschland wurden sie von Psychiatern zugunsten von Nazi-Politikern ausprobiert. Es wäre daher logisch, die Notwendigkeit zu unterstreichen, dass Europa seine Praktiken im Bereich der psychischen Gesundheit überprüft und sicherstellt, dass die Menschenrechte bei der Bereitstellung von Pflegeleistungen weiterhin an erster Stelle stehen. Hier kommt die Kampagne QualityRights der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ins Spiel.
Die Initiative QualityRights zielt darauf ab, die Qualität der Pflege und die Menschenrechtsstandards in Gesundheits- und Sozialeinrichtungen weltweit zu verbessern. Sie ist bestrebt, die Gesundheitsdienste zu revolutionieren, indem sie sich für Praktiken einsetzt, die die Menschenrechte wahren und die Qualität der psychischen Gesundheitsversorgung verbessern.
Europa befindet sich mit seinen Gesundheitssystemen und kulturellen Kontexten an einem entscheidenden Wendepunkt. Die Lehren aus der Untersuchung in Neuseeland (und aus der Zeit der Nazis) sollten die Länder dazu inspirieren, die Qualitäts- und Rechterichtlinien der WHO anzunehmen und umzusetzen. Hier sind einige wichtige Schritte, die Europa in Betracht ziehen kann:
Wahrung der Menschenrechte: Für die europäischen Länder ist es von entscheidender Bedeutung, dass die psychiatrischen Dienste die Rechte von Menschen mit gesundheitlichen Problemen wahren und verteidigen. Dazu gehört, jede Form der Behandlung zu verhindern und sicherzustellen, dass die Pflege mit Würde und Respekt erfolgt. Stärkung und Interessenvertretung: Die Stärkung von Menschen mit psychischen Problemen sowie deren Familien und Gemeinschaften ist von entscheidender Bedeutung. Indem Europa Interessenvertretungsbemühungen fördert und Plattformen bereitstellt, auf denen Stimmen gehört werden, kann es Veränderungen in den psychiatrischen Gesundheitssystemen herbeiführen. Politische und rechtliche Rahmenbedingungen: Die europäischen Länder sollten Richtlinien und Gesetze einführen und durchsetzen, die den internationalen Menschenrechtsstandards entsprechen. Dazu gehört die Einrichtung von Mechanismen zur Rechenschaftspflicht und die Behandlung von Missbrauchsfällen. Kapazitätsaufbau: Das Anbieten von Schulungsprogrammen und Ressourcen zur Verbesserung des Wissens und der Fähigkeiten von Gesundheitsfachleuten, Dienstnutzern und Interessengruppen ist von entscheidender Bedeutung. Dadurch wird sichergestellt, dass die Pflege auf eine Weise bereitgestellt wird, die die Menschenrechtsprinzipien respektiert. Verbesserung der Dienste: Die Verbesserung der Qualität der Gesundheitsdienste sollte Priorität haben, während gleichzeitig auf die Bedürfnisse und Vorlieben der Nutzer eingegangen wird. Dazu gehört der Übergang von der institutionalisierten Pflege zu gemeindebasierten Diensten, die den Menschen bei der Integration in die Gesellschaft helfen. Auf die Gemeinschaft ausgerichtete Lösungen: Die Einführung gemeinschaftsorientierter Betreuungsmodelle kann dazu beitragen, die Bedingungen aufzubrechen, in denen Missbrauch lange Zeit aufrechterhalten wurde. Durch die Unterstützung in Umgebungen können Einzelpersonen ein gesünderes und erfüllteres Leben führen.
Oberster Gerichtshof Spaniens urteilt, dass die Aufdeckung von Missständen von allgemeinem Interesse ist und eine Debatte dringend notwendig ist
In einem Urteil bestätigte der Oberste Gerichtshof Spaniens den Wert der Bildungsinitiativen der Citizens Commission on Human Rights (CCHR) und erkannte ihre entscheidende Rolle bei der Sensibilisierung für Missbräuche in der psychiatrischen Praxis an. Diese Entscheidung unterstreicht die Bedeutung von Lobbyarbeit und Bildung, um Veränderungen herbeizuführen und die Rechte in psychiatrischen Diensten zu schützen.
Das Urteil des Gerichts erinnert uns daran, welche Wirkung informierte und selbstbewusste Gemeinschaften bei der Bekämpfung systematischer Misshandlung erzielen können. Indem sie Bemühungen unterstützen, die die Öffentlichkeit aufklären und Transparenz in den Vordergrund stellen, können europäische Länder Räume schaffen, in denen die Behandlung psychischer Erkrankungen nicht nur ethisch, sondern auch wirksam ist.
Ein Alarm für dringendes Handeln
Die jüngste Untersuchung in Neuseeland hat Aspekte der psychiatrischen Versorgung ans Licht gebracht und schädliche Praktiken aufgedeckt, die nie wiederholt werden sollten. Während Europa über diese Enthüllungen nachdenkt, bietet die Kampagne „Quality Rights“ der WHO eine Blaupause für Verbesserungen. Indem sie diese Standards annehmen und Lehren aus Spaniens Engagement für Bildung und Interessenvertretung ziehen, können die europäischen Nationen sicherstellen, dass die psychiatrischen Dienste nicht nur effizient sind, sondern auch die Prinzipien der Menschenrechte und die Menschenwürde wahren.
Indem Europa Erkenntnisse aus der Geschichte Neuseelands zieht und den Rahmen des Quality Rights-Konzepts übernimmt, hat es das Potenzial, den Weg für die Schaffung eines Gesundheitssystems zu ebnen, das die Rechte jedes Einzelnen wirklich achtet und schützt und gleichzeitig sämtliche bestehenden Missbräuche sofort und ohne Zögern ausmerzt.
source link eu news