Von Maria Martinez und Matthias Williams
BERLIN (Reuters) – Tausende deutsche Arbeiter haben am Dienstag landesweite Streiks gestartet, um höhere Löhne zu fordern. Dies verschärft die Probleme für Unternehmen, die um ihre globale Wettbewerbsfähigkeit besorgt sind, da hohe Kosten, schwache Exporte und ausländische Konkurrenten ihre Stärken schwächen.
Die Streiks gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmer in der knapp vier Millionen Beschäftigten starken Elektro- und Metallindustrie treffen Unternehmen wie die Porsche AG, BMW (ETR:) und Mercedes.
Ebenfalls diese Woche könnte der Autoriese Volkswagen (ETR:) Pläne zur Schließung von drei Werken auf heimischem Boden zum ersten Mal in seiner 87-jährigen Geschichte sowie Massenentlassungen und 10-prozentige Lohnkürzungen für Arbeitnehmer bekannt geben, die ihren Arbeitsplatz behalten.
Die sich verschlechternden Geschäftsaussichten in Europas größter Volkswirtschaft haben den Druck auf die wackelige Koalitionsregierung von Bundeskanzler Olaf Scholz erhöht, die vor den Bundestagswahlen im nächsten Jahr am Rande des Zusammenbruchs stehen könnte, da die politischen Risse immer größer werden.
Scholz lud am Dienstag zu einem Treffen mit Wirtschaftsführern, darunter Volkswagen-Chef Oliver Blume, ein, um Strategien zur Stärkung der deutschen Industrie zu diskutieren.
Bei dem dreistündigen nichtöffentlichen Treffen in Berlin ging es darum, politische Maßnahmen auszuloten, um das Wachstum anzukurbeln, Arbeitsplätze in der Industrie zu schützen und die Position Deutschlands als globaler Industriestandort zu stärken, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in einer Erklärung.
Die Gespräche markieren den Beginn einer umfassenderen Initiative der Bundesregierung, Folgegespräche seien für den 15. November geplant, fügte Hebestreit hinzu.
Als Zeichen der Funktionsstörung der Regierung hat sein Finanzminister für denselben Tag auch einen separaten Gipfel angekündigt.
Sogenannte „Warnstreiks“ bei Lohnverhandlungen gibt es in Deutschland schon seit langem, doch sie kommen zu einer Zeit, in der die Arbeitgeber zunehmend Sorgen um die Zukunft haben. Eine führende Unternehmensgruppe sagte, eine Umfrage unter Unternehmen deutete darauf hin, dass Deutschland im Jahr 2024 ein weiteres Jahr des Wirtschaftsrückgangs erleben werde und im nächsten Jahr keine Aussicht auf Wachstum bestehe.
„Wir haben es nicht nur mit einer zyklischen, sondern mit einer hartnäckigen Strukturkrise in Deutschland zu tun“, sagte Martin Wansleben, Geschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), der die Umfrage durchgeführt hat.
„Wir sind sehr besorgt darüber, wie sehr Deutschland zu einer wirtschaftlichen Belastung für Europa wird und seiner Rolle als wirtschaftlicher Arbeitstier nicht mehr gerecht werden kann“, sagte er.
Eine gesonderte Umfrage des Automobilverbandes VDA ergab, dass die Transformation der deutschen Automobilindustrie bis 2035 zu 186.000 Arbeitsplatzverlusten führen könnte, von denen etwa ein Viertel bereits eingetreten ist.
„Europa – insbesondere Deutschland – verliert immer mehr an internationaler Wettbewerbsfähigkeit“, heißt es im VDA-Bericht. Es heißt, dass deutsche Unternehmen bis zu dreimal mehr für Strom zahlen als ihre US-amerikanischen oder chinesischen Konkurrenten und gleichzeitig mit höheren Steuern und zunehmendem bürokratischen Aufwand konfrontiert sind.
ARBEITNEHMER WOLLEN IHREN ANTEIL
Der Internationale Währungsfonds schloss sich den Forderungen nach Reformen in Deutschland an und schlug der Regierung vor, eine in der Verfassung verankerte Kreditobergrenze namens Schuldenbremse abzuschaffen, um die Investitionen anzukurbeln.
Während Finanzminister Christian Lindner die Schuldenbremse befürwortet, steht er im Widerspruch zu Wirtschaftsminister Robert Habeck, der einen milliardenschweren Fonds zur Ankurbelung des Wachstums fordert.
„Die wirtschaftspolitische Debatte ist da, wo sie hingehört: ganz oben auf der Agenda“, sagte Lindner auf X. „Wir haben keine Zeit zu verlieren.“
Die Treffen mit Lindner und Scholz haben bei Unternehmen und Branchenverbänden für Kritik gesorgt. Die Chemielobby VCI beklagte „schlechte Rahmenbedingungen“ und hohe Energiekosten für ihre Mitglieder und forderte Scholz auf, „wegweisende Entscheidungen“ zu treffen, um die Wettbewerbsfähigkeit freizusetzen.
Reinhold von Eben-Worlee vom Bundesverband Familienunternehmen verglich die Misere des deutschen Mittelstands mit der eines Marathonläufers, der von einem schweren Rucksack aus hohen Steuern, Sozialabgaben und Bürokratie belastet wird.
Die Streiks am Dienstag wurden von der mächtigen Gewerkschaft IG Metall inszeniert, die auch während der Nachtschicht im Volkswagen-Werk in der Stadt Osnabrück einen Streik veranstaltete, wo die Arbeiter befürchten, dass der Standort geschlossen werden könnte.
Nach Angaben eines Sprechers der IG Metall beteiligten sich am Dienstag rund 71.000 Arbeitnehmer am Streik, der rund 370 Unternehmen in ganz Deutschland betraf.
Die IG Metall fordert eine Gehaltserhöhung von 7 % gegenüber der von den Arbeitgeberverbänden angebotenen Lohnerhöhung von 3,6 % über einen Zeitraum von 27 Monaten. Unternehmen sagen, die Forderungen seien unrealistisch.
Im Werk Zuffenhausen der Porsche AG in Stuttgart seien in der Nachtschicht 500 Mitarbeiter ausgetreten und in der Frühschicht streikten rund 4.000 Mitarbeiter, um sich einer Demonstration anzuschließen, heißt es in einer Mitteilung.
Unabhängig davon steht am Mittwoch die nächste Gesprächsrunde zwischen Volkswagen und Arbeitnehmervertretern an, wenn die Ergebnisse des dritten Quartals das Ausmaß seiner Probleme offenbaren könnten. Analysten prognostizieren einen Rückgang des operativen Quartalsgewinns um 40 %.
Im bayerischen Ingolstadt marschierten Arbeiter zu dröhnenden Beats, bliesen Trillerpfeifen und schwenkten Fahnen vor einem Werk von Audi, das zum Volkswagen-Konzern gehört.
„Es herrscht ein enormer Druck im Topf. Unsere Mitarbeiter, der Betriebsrat, die IG Metall stehen zusammen, um nach Alternativen zum Stellenabbau und auch zu den Werksschließungen zu suchen“, sagte IG-Metall-Chefin Christiane Benner anlässlich des Streiks gegenüber Reuters.
„Wir werden versuchen, intelligente Konzepte zu entwickeln. Und wir akzeptieren nicht, dass unsere Mitarbeiter für Führungsfehler bezahlen müssen.“